Der Kreuzweg der Gartenkirche St. Marien
Betritt man in der Fasten- und Osterzeit, von Aschermittwoch bis Pfingsten, die Gartenkirche, hängt an den Wänden längs des Kirchenschiffes der Kreuzweg mit seinen 14 Stationen. Er beginnt hinten im linken Seitenschiff.
Für eine evangelische Kirche ist dies eine ungewöhnliche Ausstattung, da ein Kreuzweg eigentlich nur in katholischen Kirchen zu finden ist. Allerdings ist der Kreuz- und Leidensweg Jesu in den Evangelien mit vielen Einzelheiten überliefert. Ein Kreuzweg dient der Meditation dieses Leidensweges Jesu und ist damit ein zutiefst evangelisches Anliegen, hat doch die protestantische Frömmigkeit die Passion Jesu immer in besonderer Weise in den Mittelpunkt gestellt.
Im späten Mittelalter bildete sich die Anzahl von 14 Stationen heraus. Auch der Kreuzweg der Gartenkirche nimmt diese Zahl auf, hält sich allerdings nicht an die traditionellen Darstellungen. Es fällt auf, dass Legendenhaftes zurückgenommen wird: Die Episode von Veronika und dem Schweißtuch fehlt. Des Weiteren bricht Jesus nach der mittelalterlichen Tradition drei Mal unter dem Kreuz zusammen. Hier fällt Jesus nur einmal unter dem Kreuz. In den Evangelien wird davon überhaupt nichts erwähnt. Stattdessen nimmt dieser Kreuzweg zusätzlich drei Episoden aus den Evangelien auf: Den Verrat durch Judas, die Verspottung Jesu und die Verleugnung des Petrus. Hier wurde bewusst ein biblischer und damit evangelischer Kreuzweg geschaffen.
Die Entstehung dieses Kreuzweges erzählt von ökumenischer Begegnung und Weite: Der evangelische Künstler Julius Volkmar lebte und wirkte in Giengen an der Brenz, wo er eine freundschaftliche Beziehung zu dem katholischen Pfarrer des Ortes pflegte. Im Dialog zwischen den beiden entstand die Idee, dass Volkmar einen Kreuzweg für die 1962 erbaute katholische Pfarrkirche Heilig Geist malen sollte. Volkmar wählte als Protestant ausschließlich biblische Motive. Als der Kreuzweg fertig war, war der katholische Geistliche mittlerweile an einem anderen Ort tätig, sodass der vollendete Kreuzweg nie in der Kirche aufgehängt wurde, für die er geschaffen wurde. Nach einer langen Zeit der Heimatlosigkeit fand der Kreuzweg im Jahr 1999 schließlich seinen festen Platz in der Gartenkirche.